Billige Strategie

„Todesstrafe für Kinderschänder“, so warb die NPD lange Zeit dafür, Menschenrechte an Bedingungen zu knüpfen. Ein anderer Slogan der „Nationaldemokraten“ lautete: „Kriminelle Ausländer raus!“ Ohne das Adjektiv davor wäre es Volksverhetzung, heute ist es Konsens aller Parteien rechts der Linken.

Manuela Schwesig (SPD) brachte 2014 als Bundesfamilienministerin das Programm „Demokratie leben – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ auf den Weg. Zehn Jahre später macht sie sich als Ministerpräsidentin eines Bundeslandes, das jüngst mit rassistischer Gewalt gegen Kinder in den Schlagzeilen war, den NPD-Slogan zu eigen: „Ausländische Straftäter abschieben“ – um die Unzufriedenheit in Ostdeutschland einzudämmen.

Wäre an der Behauptung, Migration sorge für Rassismus, irgendetwas dran, müsste die AfD in Stadtteilen wie Essen-Nord, Berlin-Neukölln oder Hamburg-Billbrook wegen des überdurchschnittlich hohen Ausländeranteils dort einen überdurchschnittlich hohen Zuspruch genießen. Ihre großen Erfolge erzielt die Partei wie ihre Vorgängerin, die NPD, aber gerade dort, wo wenig bis gar keine Ausländer leben und die ökonomische Situation ähnlich beschissen ist wie in Hamburg-Billbrook: In einer reichen Stadt arm zu sein, in einem Land mit Fachkräftemangel arbeitslos zu sein, ist demütigend. Wut hilft, diese Schmach zu ertragen.

 

Wahlkampf als Klassenkampf von oben

Strukturschwäche zu beheben ist keiner Partei so richtig gelungen. Sofern sie es mal gewagt hat und dabei den Kapitalinteressen so in die Quere kam, wie es nötig wäre, wurde sie von Springer in Grund und Boden geschrieben, um die Profitrate von Shareholdern und Anzeigenkunden zu verteidigen. Darum gibt es Wohnungsbau nur für Spekulanten und Klimaschutz nur gemäß den Kapitalinteressen, also Treibhausgasemissionen werden so reduziert, dass dabei die Armen ärmer und die Reichen reicher werden.

In jeder Hinsicht billiger ist es für Spitzenpolitiker:innen, sich um die größte Niedertracht gegen diejenigen zu bemühen, die hier eh nicht wählen dürfen oder, weil sie von ihrer Armut ausgepowert sind, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen.

Der australische Künstler Denis Lushch brachte 2019 einen alten, traurigen Arbeiterwitz in zeitgemäße Form. (Denis Lushch bei Instagram:
https://instagram.com/d.lushch.art)

Jemand vom Range Schwesigs muss vom DIW-Präsidenten Marcel Fratzscher nicht daran erinnert werden, dass es keinem Wähler besser gehen wird, wenn man ukrainische Kriegsflüchtlinge aus dem Bürgergeldbezug schmeißt. Kein Arbeitsplatz wird geschaffen, indem man Leute, die auf Bürgergeld angewiesen sind, noch mehr schikaniert. Kein Verbrechen wird verhindert, indem man Straftäter in den Tod abschiebt. Schwesig weiß das alles und kennt sicher die einschlägigen Studien, wonach man Rechtspopulisten nicht kleinkriegt, indem man ihre Forderungen nachplappert.

Den Zynikern der Macht, die empört reagieren, wenn man sie nach Gehör ins rechtspopulistische Lager einsortiert, ist das egal, Leuten wie Schwesig vielleicht nicht. Dennoch bedienen sie sich dieser Strategie, die ebenso billig wie verheerend ist. Denn auch den meisten AfD-Wählern ist klar, dass die ethnische Homogenisierung Deutschlands keines ihrer Probleme beheben wird, weil es sich um strukturelle handelt, vor deren Lösung alle Parteien rechts der Linken zurückschrecken. Darum wählen sie eine Partei, von der sie sich nichts versprechen außer dem Untergang, nach dem die Karten vielleicht neu gemischt werden – und dass es bis dahin möglichst vielen Leuten schlechter gehen möge.

 

Die neue große Erzählung

Anstatt die grundlegenden Probleme anzugehen, überbieten sich die Parteien darin, wie es den 16.000 Totalverweigerern, die arbeiten oder hungern oder klauen sollen, und den 300.000 Geduldeten, die man wegen ihrer Menschenrechte nicht abschieben und wegen rechter Menschen nicht arbeiten lassen kann, bald an den Kragen geht. Damit gewinnen sie keinen AfD-Wähler zurück, der ihnen eh nichts mehr glaubt, und befremden diejenigen, die sich einem christlichen Menschenbild oder sozialdemokratischen Prinzipien verpflichtet fühlen.

Spätestens als Sigmar Gabriel – unter den vielen Ex-Parteichefs derjenige, der weder im Bund noch in seinem eigenen Bundesland je eine Wahl gewonnen hat – der SPD zu dieser Billigstrategie riet, hätte der klar werden müssen, wie bescheuert das ist.

Journalist:innen dienen als getreuliche Lautsprecher der Härte gegen Habenichtse. Viel zu selten wird mal nachgehakt, ob es nicht eine ungeheure Verachtung der Wählerschaft ist, ihr Migration als „Mutter aller Probleme“ zu verkaufen und dem Bevölkerungsfünftel nachzulaufen, das ein Problem mit der Hautfarbe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat.

Sei es, weil die Presseleute nicht in den Verdacht des Linksradikalismus geraten wollen, indem sie das Meisternarrativ anzweifeln, nach dem über Bürgergeld nur im Zusammenhang mit Faulheit und über Geflüchtete nur im Zusammenhang mit Kriminalität gesprochen werden darf; sei es, weil auch sie unfähig geworden sind, diese in die Hirne gehämmerte Erzählschablone als solche zu erkennen.

Vorläufiger Tiefpunkt war das Interview der Woche, das Christoph Heinemann Anfang Juni im DLF mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff (CDU) führte. Keine kritische Nachfrage trübte die Einigkeit zwischen dem Journalisten und dem Spitzenpolitiker darüber, dass alle, die sich ohne deutschen Pass oder Touristenvisum in der BRD aufhalten, illegal, judenfeindlich und Ursache von Fremdenfeindlichkeit sind.

 

„‚Billig‘ kann ich mir nicht leisten.“

Dabei ist dieser Klassen- oder Rassenkampf von oben gar nicht so billig, wie er auf den ersten Blick daherkommt.

Eine Abschiebung kostet pro Person zwischen 26.000 und 135.000 Euro. Mit dem Geld könnte man jedem „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ auch einen Sprachkurs und die Ausbildung in Pflege, Betreuung, Gastronomie oder Handwerk finanzieren; das wäre immer noch günstiger als die 160.000 Euro Staatshilfe, mit denen jeder einzelne der mutmaßlich 7.000 Arbeitsplätze im Tesla-Werk Grünheide subventioniert würde, hätte Elon Musk den Förderantrag nicht aus Imagegründen zurückgezogen.

So ist es an den Satiriker:innen der Anstalt, zu später Stunde eine fiktive Ursula von der Leyen zu fragen, warum die EU die Unsummen an Steuergeldern, die man Autokraten und gescheiterten Staaten dafür überweist, Flüchtende im Mittelmeer ertrinken oder in der Sahara verdursten zu lassen, nicht dafür einsetzt, diesen Menschen den Aufbau eines Lebens in Europa zu ermöglichen.

Sie kostet es ihr Leben, den Steuerzahler die öffentlichen Mittel, die anderswo fehlen, und die verantwortlichen Politiker:innen kostet es Glaubwürdigkeit, wenn sie die unmöglichen einfachen Lösungen versprechen.

Es war an Lamya Kaddor (Grüne), im DLF zu erklären, dass ihre Partei ganz und gar nicht gegen Abschiebungen ist, doch warum Deutschland auch die übelsten Mistkerle nicht nach Afghanistan oder Syrien abschiebt. Selbst wenn man staatliches Handeln in diesem Bereich von der unbedingten Bindung an die Menschenrechte befreite und damit der anderen NPD-Forderung nachkäme, müsste man immer noch den blutsaufenden Diktator Assad und die 20 Jahre vergeblich bekämpften Taliban diplomatisch anerkennen, um die Rücknahme ihrer straffälligen Bürger auszuhandeln.

Weil das wenigstens noch ein paar (aber längst nicht allen) Abschiebeweltmeistern der Herzen zu weit geht, gucken sie ab beim Musterbeispiel politischer Klugheit: Großbritannien will jeden, der es lebend über den Ärmelkanal schafft, nach Ruanda deportieren. Wenig überraschend kräht die CSU auch und besonders am heutigen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung nach einem ähnlichen Modell. Es war eben diese Partei, die einst entgegen aller Warnungen den rechtspopulistischen Stunt der Ausländermaut durchpeitschte, deren erwartbares Scheitern den Steuerzahler eine Viertel Milliarde Euro gekostet hat. Dieses Debakel dürfte sich nun wiederholen, da die nicht geringen Bedenken gegen die Durchführbarkeit von Asylverfahren in Drittstaaten vom Tisch gewischt werden, weil es damit im Herbst drei ostdeutsche Landtagswahlen zu verlieren gilt, ehe auch diese billige Lösung die Steuerzahler teuer zu stehen kommt.

Die öffentlichen Mittel, die dann fehlen, wird die nationaldemokratische Zweidrittelmehrheit im Bundestag bei Klimaschutz, Bildung, Gesundheit und Soziales einsparen, obwohl oder weil sie natürlich auch die Studien kennt, wonach Austeritätspolitik zum weiteren Erstarken ultrarechter Parteien beiträgt. Denn Schuld an alldem sind die Ausländer.

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